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Regine Ziegler, geboren 1864 in Schäßburg, gestorben 1925, verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in Arkeden, wo ihr Vater, Johann Ziegler, von 1878 bis 1919 Pfarrer war. Sie schrieb Lyrik und Prosa. So wie in dieser Erzählung verarbeitete sie in ihrem dichterischen Werk gerne Kindheitseindrücke und -erfahrungen. Auf diese Weise sind auch einige Arkeder Bräuche festgehalten worden. Unveränderte Abschrift aus: Die Karpathen, 2. Jg. (1908), Nr. 6, S. 164 - 167

Regine Ziegler, geboren 1864 in Schäßburg, gestorben 1925, verbrachte einen Teil ihrer Kindheit in Arkeden, wo ihr Vater, Johann Ziegler, von 1878 bis 1919 Pfarrer war. Sie schrieb Lyrik und Prosa. So wie in dieser Erzählung verarbeitete sie in ihrem dichterischen Werk gerne Kindheitseindrücke und -erfahrungen. Auf diese Weise sind auch einige Arkeder Bräuche festgehalten worden.

"In einem Dorfe des sogenannten “Haferlandes” herrschen heute noch eigenartig schöne Weihnachtsbräuche, die sich von Geschlecht zu Geschlecht vererben. Alte Fäden, die in die neue Zeit hinübergreifen und nicht zerreißen, so sehr die Gegenwart und ihre oft zersetzenden Mächte auch daran zerren. An einem Morgen der letzten Dezemberwoche halten vor der Schule auf dem Marktplatze 20 – 30 der größten Schulknaben auf ungeduldig tanzenden Pferden zum Ritt nach dem Walde, aus welchem sie das für die Weihnachtskronen in der Kirche bestimmte Wintergrün holen wollen. ...weiterlesen "Weihnachten im Dorfe (v. Regine Ziegler, 1908)"

Gekürzter Auszug aus: Binder, Georg: Arkeden, München 1995, S. 341 – 346 Nachdruck mit freundlicher Genehmigung seiner Witwe Katharina Binder.

Kirchenjahr

Das Kirchenjahr beginnt mit dem 1. Adventsonntag und endet mit dem evangelischen „Ewigkeitssonntag“; d.h. mit dem Sonntag vor dem 1. Advent. Unter Kirchenjahr versteht man die geordnete Reihe der jährlich wiederkehrenden christlichen Feste und Sonntage.
Die evangelischen Kirchen gliedern das Kirchenjahr in drei auf Leben und Wirken Jesu bezogene Festkreise: 1) den Weihnachtsfestkreis mit insgesamt 7 – 12 Sonntagen, 2) den Osterfestkreis mit 7 – 12 Sonntagen und 3) den Pfingstfestkreis mit 25 – 30 Sonntagen (...).

Hinweis:
Meinen Schilderungen der Bräuche im Jahreszyklus lege ich das Kirchenjahr zugrunde. Im Folgenden wende ich meine Aufmerksamkeit den Bräuchen in Arkeden zu. Ich strebe keine Vollständigkeit an, weil meine Informationen und Erinnerungen lückenhaft sind und mir schriftliche Überlieferungen fehlen; im Gegenteil, ich greife einige markante Bräuche aus dem Jahreszyklus heraus und beschränke mich im Wesentlichen auf die Bräuche zwischen den Weltkriegen.

Advent

(…) In Arkeden wurde Advent (vor 1947) in der Schule im „großen“ Klassenraum gefeiert. Die Tannenzweige für den Adventkranz besorgten die Schulbuben. In meiner Kindheit war es so: Wir, die Schulbuben, gingen in den Tannenwald. Der Letzner Misch, H-Nr. 288, mit der kleinen Handaxt (Etchesken) am Hosenriemen, kraxelte auf eine der hohen Tannen und fällte Tannenzweige, die wir mit Übermut und großem Getue in die Schule brachten. Hier banden die Mädchen, unter Aufsicht und mit Anleitung der Lehrerin das Tannengrün auf einen Holzreifen, befestigten die 4 Kerzen und der fertige Adventkranz wurde an die Decke des großen Klassenzimmers gehängt.

An jedem Adventsonntag versammelten wir Schulkinder uns unter dem „brennenden“ Adventkranz, sangen Weihnachtslieder und hörten uns Weihnachtsmärchen an. (…)

Nikolaus

(…) In Arkeden war dieser Vorname nicht üblich. Trotzdem: es war Brauch, dass die Kinder die Stiefel (Schuhe) vor die Tür stellten und vom Nikolaus beschenkt wurden. In den Stiefeln oder Schuhen fanden sie am Morgen: Äpfel, Nüsse, Bonbons, Teegebäck, und – wenn auch seltener – eine Rute.

Weihnachten
(…)

Wintergrünholen und Leuchterbinden

Das Wintergrünholen in Arkeden war für die Buben der 5., 6. und 7. Schulklasse ein großes, langersehntes und sehr wichtiges Ereignis. Schon das „Mitreitendürfen“ - für sich alleine genommen – war etwas Außergewöhnliches, etwas Großartiges. Der Reitstock aus Hartriegel mit „Riemchen“ am Handgriff war längst fertig. An einem schönen Wintertag vor Weihnachten war es dann soweit. Das Reitpferd wurde gewaschen, gestriegelt und gebürstet, der Schweif aufgesteckt und die Mähne in kleine Zöpfchen geflochten. Auf den Sattel bzw. auf die „Britsch“ setzte sich der stolze Bub. Seine „Reiteruniform“ bestand meistens aus einem sogenannten „grauen Anzug“, einer Pelzkappe, „gewixten“ Lederstiefeln, „Butschen“ (Überschuhe aus gewebtem grauen Stoff) und dicken Fäustlingen. Die Reitergruppe der Schulbuben wurde von einem Vertrauensmann – mit Ansehen im Dorf – angeführt. „Vor der Kirche“ verabschiedeten die Dorfbewohner die Reitergruppe. Der Ritt ging zum „Scheiwligen Brunnen“, ein etwa 4 km entfernter, nördlich vom Dorf gelegenen, waldbestandener Hattertteil. Hier klaubten die Buben das Wintergrün. Aus einem Teil banden sie kleine Sträußchen, mit denen sie das „Gehäuptsel“ vom Zaum schmückten. Das restliche Wintergrün wurde im „Táiser“ (Hängetasche, Tragetasche) verstaut und über die Schulter gehängt oder an den Sattel gebunden. Nach getaner Arbeit traten die Jungs den Rückweg an.

Schon Stunden vor ihrer Rückkehr ins Dorf versammelten sich die Schulkinder, besonders die Buben (Klasse 1 – 4), aber auch Erwachsene, „vor der Kirche“ und hielten Ausschau auf den „Riemelt“. Wenn die Reitergruppe auf dem Bergrücken erblickt wurde, stürmten die Kinder in Richtung Schenkerbrücke am Dorfende. Hier warteten die Traber, ließen sie vorbei reiten und rannten ihnen nach. Der Rundritt durchs Dorf ging aus der Schenkergasse ins Gesken und weiter durch die Neu-, Hinter- und Kreiwelgasse bis vors Rathaus in der Kirchengasse. Vor dem Pfarrhof – in der Kreiwelgasse – machten die Reiter ihren ersten „Halt“ und ließen den Pfarrer mit drei kräftigen „Vivat-Rufen“ hochleben.

Am Ende der Kreiwelgasse (H.-Nr. 157) hatten die Dorfbewohner indessen bereits eine Wegsperre errichtet. Diese bestand aus einem mit bunten Tüchern behangenen und über die Straße gespannten Aufhaltseil, mundartlich „Se-it“ genannt. Mit donnerndem Vivat! Vivat! Vivat! für die Wegversperrer erkauften sich die Reiter die Wegfreigabe und weiter gings vor die deutsche Schule, wo man den Rektor mit dreimal Vivat! begrüßte. Dasselbe geschah vor dem Predigerhof. Zu guter Letzt wurde vor dem Rathaus Halt gemacht. Hier ließen die Jungs den Notär (Kanzleischreiber) mit dreimal Vivat! hochleben. Dies galt als Huldigung der lokalen Staatsmacht. In früheren Zeiten wurden angeblich auch der Dokter (Arzt) und der Knechtvater mit Vivatrufen begrüßt.

Das Wintergrün kam in die Häuser der 4 „Leuchterhalter“ zur Aufbewahrung. (...)

Das Leuchterbinden

Der Arkeder Leuchter bestand aus einer etwa 1,25 Meter hohen bienenkorbförmigen, leichten Holzkonstruktion. Die „Leuchter“ wurden jährlich an die vier besten Schüler (männlichen Geschlechts) der höchsten Volksschulklasse neu vergeben. Die Festlegung der vier Leistungsträger lag im Ermessen des Schulrektors. Die vom Rektor ernannten „Leuchterhalter“ wählten sich ihre Sängergruppen aus den Reihen aller Schülerinnen und Schüler. Der Klassenprimus mit dem „Ersten Leuchter“ hatte das Erstwahlrecht, er wählte sich in seine Sängergruppe die beste Sängerin bzw. den besten Sänger der Schule; dann wählte der Bub mit dem „Zweiten Leuchter“ sich die nächstbeste bzw. den nächstbesten. Und so ging die Wahl weiter bis alle Schulkinder einer der vier Sängergruppen angehörten. (...)

Am vierten Adventsonntag versammelten sich die vier Gruppen zusammen mit ihren Eltern im Hause ihrer „Leuchterhalter“. Jedes Schulkind hatte die Pflicht eine lange Wachskerze und sieben Papiersterne mitzubringen. Die Wachskerzen wurden vorzeitig in Gruppenarbeit in gläserne Gußformen gegossen. Die Papiersterne aus buntem, glitzerndem Papier schnitten die Kinder – unter Anleitung und mit Hilfe der Eltern bzw. Großeltern – selbst und eigenhändig aus.

Das ganze Leuchtergerüst wurde dicht mit Wintergrün umwunden. Blatt für Blatt band man zigtausend Wintergrünblätter an das Holzgestell fest. An die 20 Schnittpunkte der fünf Leuchterrippen mit den vier Längshölzern zum Leuchterschaft befestigte man je eine Kerze. Die einundzwanzigste - an der Leuchterspitze angebrachte – Kerze diente als Leuchterkrone. Die gegrünten kreisförmigen Leuchterrippen aus Haselnussruten sowie die kreisförmig gebogenen Längshölzer wurden mit zig farbigen Papiersternen ausgeschmückt. Das natürliche Grün der „Wéntchergränen“ (Wintergrün) und die Farbenpracht der im Kerzenlicht funkelnden Papiersterne boten dem Betrachter einen zauberhaften Anblick.

Heilig Abend / Christnacht (24. Dezember)

Am 24. Dezember etwa 17.00 Uhr riefen die Weihnachtsglocken zum Kirchgang. Mit brennenden Kerzen gingen die Dorfbewohner, familienweise, in die Kirche. Vor dem Altar stand ein großer, schön geschmückter Christbaum. Darunter die Schulkinder. Anmerkung: Das Weihnachtsbaumholen war – wie bereits erwähnt – Aufgabe der Bruderschaft; das Ausschmücken jedoch Sache des Frauenausschusses, in der Regel Presbyterfrauen. An diesem Abend war es Brauch, dass einige Buben bzw. Mädchen unter dem Weihnachtsbaum Gedichte „aufsagten“. Die Buben verneigten sich, die Mädchen machten einen Knicks und trugen ihre auswendig gelernten Verse in schnellem Tempo und lauter heller Kinderstimme vor. Die ganze Gemeinde hörte wohlwollend, aber auch kritisch zu. Nach fehlerfreiem „Aufsagen“ waren Kinder, Eltern, Großeltern, Paten, Goden, Tanten und Onkel allesamt stolz, glücklich und zufrieden. Neben den üblichen Chorälen sangen die Kinder auch Weihnachtslieder unter dem, von Kerzen und Wunderkerzen hell erleuchteten Christbaum.
Nach der Weihnachtsgeschichte, der Festpredigt und dem Gebet des Pfarrers sang der Kirchenchor, die Schulkinder und die ganze Gemeinde – mit Orgelbegleitung – die Lieder: „O du fröhliche, o du selige ...“ und „Stille Nacht, heilige Nacht“. Mit diesen Liedern erreichte der Festgottesdienst seinen Höhepunkt. Anschließend erfolgte die Kinderbescherung unter dem Weihnachtsbaum. Jedes Kind bekam eine Tüte (mundartlich „Tock“) mit weihnachtlichen Leckerbissen. Darin: ein Apfel, ein paar Nüsse, Teegebäck (Plätzchen), Bonbons u.a.m. Für Inhalt, Fertigstellung und Aushändigung der Tüten war der Frauenausschuss zuständig. Für die Schulkinder gab es meistens noch ein oder zwei Hefte, einen Bleistift, einen Griffel und einen Radiergummi. In neuerer Zeit auch ein Taschentuch für Mädchen und ein Taschenmesser für Buben.

Die häusliche Weihnachtsfeier in der Familie bestand in erster Reihe aus der Weihnachtsbescherung der Kinder. Es hieß: „Der Chrèstmoun küt“ (der Christmann kommt), d.h. der Weihnachtsmann kam an die Tür, öffnete sie und warf Äpfel, Nüsse, Teegebäck. Bonbons, eine Wunderkerze und oftmals auch eine Rute ins Zimmer. Der Christmann präsentierte sich zumeist in der Person des Großvaters, der, furchterregend verkleidet, mit Schellen läutend, mit verstellter tiefer Stimme die Kinder fragte, ob sie brav gewesen und brav sein wollen und so weiter und so fort.

Nur wenige Kinder erhielten als Weihnachtsgeschenk einen Rodel oder Schlittschuhe. Nur in wenigen Häusern gab es einen Weihnachtsbaum. Nur in Einzelfällen gab es als Geschenk aus dem Handel gekauftes Spielzeug, wie: Puppe, Hampelmann, Maus mit Feder, Bausteine, Marokko-Stäbchen, Mensch-ärgere-dich-nicht-Spiele, Laubsäge, Pistole u.ä.

Die häusliche Weihnachtsbescherung fiel in der Regel wegen Bargeldmangel bescheiden aus.
Nach der häuslichen Feier in der Familie – etwa um 19.00 Uhr – gingen Buben und Mädchen, Knechte und Mägde schulklassenweise in die „Christnacht“, d.h. Christnacht feiern. Die Getränke (bei den Buben in der Regel 0,5 l Wein pro Kopf) nahm jeder von zu Hause mit, oder sie wurden aus dem Handel besorgt. Gefeiert wurde bis etwa 21.00 Uhr, fein säuberlich nach Geschlechtern getrennt, im Hause eines / einer Jugendlichen. Anschließend gingen die Jungs zu den Mädchen „ansingen“ und feierten dort gemeinsam weiter. Dasselbe galt auch für Knechte und Mägde. Junge Ehepaare feierten „Christnacht“ in kleinen Gruppen von Freunden. Die alten Menschen feierten zu Hause und hüteten die kleinen Kinder. Um 22.00 Uhr versammelten sich viele Dorfbewohner, Jugendliche und Erwachsene, vor dem Portal der Kirchenburg, auf dem so genannten Parjere-in. Eine Stunde lang – zwischen 22 und 23 Uhr – läuteten die Weihnachtsglocken. Um 22 Uhr begann das „Weihnachtsblasen“ der Adjuvanten auf dem Parjere-in. Mit Marschmusik ging die „ganze“ Gemeinde anschließend auf den Pfarrhof. Im geöffneten Fenster stand, neben einem schmucken Weihnachtsbaum, der Pfarrer und die „Fra Motter“. Sie wurden mit Musik und Gesang begrüßt. Die Begrüßungsansprache hielt der Rektor. Nach dem Dank des Pfarrers ging es mit Musik zurück „vor die Kirche“. Dort wurde weiter geblasen und gesungen. Die Adjuvanten (die Mitglieder der Blasmusikkapelle) feierten anschließend im so genannten „Sprechzimmer“, Bezeichnung für den Übungsraum der Adjuvanten. Die Christnacht endete für manchen Jugendlichen, aber auch für Erwachsene, feucht-fröhlich.

Erster Weihnachtstag (25. Dezember)

Am ersten Weihnachtstag in der Früh um 6 Uhr fand in Arkeden - nach althergebrachtem Brauch - der "Weihnachtsleuchter-Frühgottesdienst" statt. Die ganze Gemeinde ging, gruppiert um die vier "brennenden" Leuchter durch die Dunkelheit zur Frühkirche. Der erste Leuchter hatte seinen Platz vor dem Altar, der zweite auf der Orgelempore, der dritte und vierte (von der Orgel aus gesehen) im rechten bzw. linken oberen Gestühl. Jede Sängergruppe der vier Leuchter sang mit Orgelbegleitung hintereinander, je eine Strophe vom Choral: "Lobt Gott ihr Christen,freuet euch ...". Zum Vergleich: Die Siebenbürgische Dorfchristmette. Das Arkeder "Leuchter-Singen" geht auf das "Quempas-Singen" der Schuljugend aus Nordsiebenbürgen zurück. Zitat von Maria Schmidt: "Es handelt sich hier um eine Zusammensetzung von Liedern, die von vier Schülergruppen im zeilenweisen Wechsel gesungen wurden. Die Gemeinde war beim Kehrreim mitbeteiligt. ... Zum Quempas-Singen gehörten auch die sogenannten Lichtertcher (Einzahl: Lichtertchi), eine Art Weihnachtspyramide" (SZ vom 15.12.88).

Der Arkeder Weihnachts-Frühgottesdienst mit Leuchter war vergleichbar mit der Siebenbürgischen Dorf-Christmette mit Lichterchi in anderen Orten.

Am ersten Weihnachtstag besuchten sich die nahen Verwandten gegenseitig. Am zweiten und/oder dritten Weihnachtstag fand in der Regel ein Ball statt. Besondere Bräuche sind mir an diesen Tagen nicht bekannt.

Gekürzter Auszug aus: Binder, Georg: Arkeden, München 1995, S. 341 – 346
Nachdruck mit freundlicher Genehmigung seiner Witwe Katharina Binder.